Zeitreflexionen

Was ist Zeit? Ausgehende von der Entstehungsgeschichte der GMT (Greenwich Nullmeridian als Referenz zur Bestimmung der geographischen Länge) und den Unterschieden zwischen GMT, GMAT, UT hin zur Einführung der UTC. Dabei einige Anmerkungen zur historischen Zeitbestimmung (geringfügige Kalenderkunde). Abschließende Erläuterung der heutigen internationalen Zeitnormale (SI-Sekunde) und deren Erzeugung mit Atomuhren bei der PTB (u.A.).

Die Zeit verwandelt uns nicht, sie entfaltet uns nur - Max Frisch

Beginnend mit dieser philosophischen Betrachtung möchte ich heute der all uns umgebenden Zeit ein bisschen mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen. Niemand hat sie! Und trotzdem spricht jeder darüber! Allerdings, finde ich, wird sie (sprachlich) mit Füßen getreten. Vielleicht weil sie die jüngste aller SI-Einheiten ist? Falls es daran liegen sollte: Hier ein Erklärungsversuch:

Aufgrund des komplexen Themas und der entsprechenden Länge, stelle ich hierzu bereits am Anfang der Abhandlung das Working Paper zur Verfügung: Zeitreflexionen (ein Erklaerungsversuch) (4545)

Das Kürzel GMT (Greenwich Mean Time) ist weitläufig bekannt! Leider ist es in der heutigen Zeitrechnung nicht mehr relevant. Und pseudowissenschaftliche Zeitangaben mit dem Kürzel GMT sind in 99,9% aller Fälle schlichtweg falsch. Trotzdem ist es der Ursprung der neuzeitlichen Zeitrechnung.

Fundamental für die Navigation zur See ist die Ermittlung von Latitude und Longitude. Während bereits frühzeitig für die geographische Breite die Referenzen Nordpol und Südpol ±90° bzw. der Äquator (0°) eingeführt wurden, wurde erst Ende des 17ten Jahrhunderts Greenwich als Standard- (später Festlegung des Null-) Meridian in zahlreichen Schiffskarten festgelegt. Bis dahin galt als Referenz zur Bestimmung der geographischen Länge der Ausgangspunkt der Reise. Der nun (1884) festgelegte Nullmeridian ermöglichte nicht zuletzt eine stringente Einteilung der Welt in Zeitzonen. Ausgangspunkt bildete hierzu natürlich der eben festegelegte Meridian durch Greenwich: GMT (Greenwich Mean Time). Alle anderen Zeitzonen ergaben sich (mehr oder weniger) logisch anhand deren geographischen Länge. Da diese Festlegung aufgrund astronomischer Berechnungen zu Beobachtungen aus der Sternwarte von Greenwich erfolgte, wurde die Definition von GMT zunächst von den beteiligten Physikern durchgeführt. Dies hatte zur Folge, dass der Tag mittags begann und auch aufhörte - also die mittlere Sonnenzeit auf dem Meridian von Greenwich, gerechnet ab dem mittleren Mittag. Diese Definition erwies sich (verständlicherweise) als nicht Alltagstauglich. Folglich wurde diese Definition ein paar Jahre später als GMAT (Greenwich Mean Astronomical Time) eingeführt. GMT bedeutete ab diesem Zeitpunkt: “die mittlere Sonnenzeit auf dem Meridian von Greenwich, gerechnet ab Mitternacht”!

Na, Konfusion komplett? Aus diesem Grund wurde, nicht zuletzt um Verwirrungen vorzubeugen, 1928 die UT (Universal Time) eingeführt.

Doch zunächst einige Grundlagen zur astronomischen Chronologie um die Notwendigkeit der Einführung der SI-Sekunde und die damit verbundene Skalierung durch Temps Atomique International besser verstehen zu können:

Schon frühzeitig wurde mittels Astronomie ein physikalischer Zeitbegriff geformt. Naturgemäß wurde hierzu der Mond als nächstgelegenes (und am besten zu beobachtendes) Objekt am Firmament gewählt. Der Lunarkalender (2. Jahrtausend v. Chr.) entstand. Das Jahr wurde demnach in 12 Monaten (anhand der Mondphasen) eingeteilt. Allerdings verkürzt sich aufgrund dieser Einteilung das Jahr um 10 bis 12 Tage. D.h. es stimmen relativ schnell die Jahreszeiten nicht mehr überein (in 10 Jahren also fast “1/3 Jahr”). Infolgedessen ging man dazu über als Referenz für die Kalenderrechnung das sog. Solarjahr (die Bahnperiode der Erde im Bezug zum Äquator, auch tropisches Jahr) heranzuziehen. Die damaligen trigonometrischen Berechnungen bestimmten das tropische Jahr auf sage und schreibe 365,25 Tage! Diese Beobachtungen und die daraus resultierenden Berechnungen führten zur Neugestaltung des Kalenders unter Julius Caesar (46 v. Chr.). Der, teilweise bis weit ins 20. Jahrhundert gültige, Julianische Kalender verknüpfte das Tropische Jahr (Umlaufzeit der Erde um die Sonne) mit 1/12 des Mondjahres (Umlaufzeit des Mondes um die Erde) und dem Sternentag (eine Drehung der Erde um die eigene Achse). Allerdings ist der dabei errechnete (mittlere) Sonnentag (1 Solarjahr / 365) genau um 1/365 kürzer als der Sternentag. In diesem Kontext ergeben sich demnach die Schaltjahre. Damit gilt es also die 0,25 Tage pro Jahr (=6 Stunden) auszugleichen. Also 6h·4=24h=29.Februar (vgl. boolean schaltjahr = ((jahr % 4 == 0 && jahr % 100 != 0) || jahr % 400 == 0);). Ein Problem bleibt allerdings noch: Mit dem Julianischen Kalender verschiebt sich das Primar-Äquinoktium!

Aufgrund dessen verdonnerte Papst Gregor XIII. den deutschen Mathematiker Clavius 1579 zum Nachrechnen: Dieser kam nun auf 365,2422 Tage pro Jahr. Somit war die “Tag-und-Nacht-Gleiche” wieder um den 20.März bzw. den 23. September hergestellt. Mit dem daraus resultierenden Gregorianischen Kalender wurde ebenfalls der letzte Tag des Jahres vom 24.Dezember auf dem 31.Dezember verlegt. Die Bezeichnung Silvester geht somit auf den Todestag von Papst Silvester I. zurück. Der Eigenname des Tages hat also weder etwas mit dem boxenden Schauspieler noch etwas mit der dämlichen Katze gemein. Nein, es ist nicht mal Denglisch: vgl. “New Year’s Eve”.

Spätestens seit dem Gregorianischen Kalender stimmt der “christliche Kalender” nicht mehr mit dem “jüdischen Kalender” überein. Nachdem der Lunisolarkalender die genauen Daten des Osterfests enthält, ergeben sich nun allerdings die sog. Osterparadoxien (der Ostertermin fällt nicht mit dem astronomischen Datum zusammen: Wann ist Ostern?).

OK! Genug Kalenderkunde! Wir sind also immer noch bei der Universal Time. Universal: Durch die Einführung der Referenz Greenwich (Stadtteil von London mit Sternwarte) wurde ein Bezug geschaffen. Time: Zeit. Um UT letztendliche verstehen zu können sind noch die beiden Definitionen WOZ und MOZ notwendig:

Die wahre Ortszeit (WOZ) ist definiert durch den Sonnenstand im Meridian. D.h., die Sonne steht exakt im astronomischen Süden (oder einfacher: “die Sonne steht
Senkrecht”). Diese Zeit wird von den gebräuchlichen Sonnenuhren angezeigt.

Die mittlere Ortszeit (MOZ) gleicht die Nichtlinearitäten der WOZ (Umlaufbahn der Erde um die Sonne nicht kreisförmig (Exzentrizität der Erdbahn), Rotationsachse nicht senkrecht zur Umlaufbahn (Schiefe der Ekliptik), etc.) aus. Siehe hierzu: Zeitgleichung.

Geschafft! Hier die Definition: UT (Universal Time) ist die astronomische Zeit (MOZ) von Greenwich (Nullmeridian)! Geschafft? Leider wird UT kaum verwendet! Gebräuchlicher ist UTC. Bevor ich den Übergang zur UTC wage, muss ich allerdings noch auf die verschiedenen UT-Normalen eingehen:

UT0: Die direkt aus Beobachtungen abgeleitete mittlere Ortszeit des Nullmeridians. UT0 gibt die mittlere Ortszeit von Greenwich wieder. Erreicht die Sonne die größte Höhe über den Horizont von Greenwich so wird als Referenz 12:00 GMT angenommen. Dieser Zeitpunkt wird als obere Kulmination bezeichnet. Durch Messungen dieser Kulmination und anschließender Berechnungen anhand der Zeitgleichung wird die Zeit UT0 festgelegt.

UT1: Hier sind die durch die Polschwankungen entstandenen Einflüsse rechnerisch
korrigiert. Die Geodäsie erlaubt nicht zuletzt mit der VLBI (Very Long Baseline Interferometry) eine äußerst präzise und vor allem permanente Vermessung der Erdoberfläche. Somit ist es letztendlich möglich geworden die Polbewegungen messtechnisch zu erfassen. Die Polbewegungen verfälschen durch die mit ihnen ständig einhergehenden Verschiebungen der (tatsächlichen) Beobachterkoordinaten die zuverlässige MOZ-Gewinnung. Abhilfe schafft hierbei die Näherungsformel zur Bestimmung der UT1R. Die Zeit UT1D bereinigt sogar die Effekte der Gezeiten (ständige Abbremsung der Erdrotation, Gezeitenreibung).

UT2: Hier wurde außerdem die mittlere jährliche Schwankung der Erdrotation abgezogen. Leider unterliegen die Polbewegen aufgrund der elliptischen Umlaufbahn und der schiefen Rotationsachse (also den Jahreszeiten) noch jahreszeitlichen Schwankungen. Diese werden empirisch gewonnen und von UT1 abgezogen.

So, dass soll es an Definitionen gewesen sein! Nun verlange ich nur noch grundlegende Kenntnisse in Atomphysik und Nachrichtentechnik!

Wie sich bereits vermuten lässt, eignen sich die oben genannte Definitionen ehr weniger um Zeit auch wirklich zu messen. Genauso wenig eignen sich Sonnen-, Wasser oder Sanduhren, so nostalgisch sie auch sind, zum präzisen Zeitmessen. Mit Erfindung der Räderuhr und den daraus resultierenden Chronometern war schon ein großer Schritt in Richtung einer adäquaten Referenz getan. Die fortschreitende “Elektronisierung” erledigte den Rest: das mechanische Pendel als Taktgeber wurde durch einen Quarzoszillator ersetzt. Die Eigenfrequenz des Quarzes von 32,768 kHz wird dabei mit einer geeigneten Frequenzteilerschaltung auf den Sekundentakt “heruntergeteilt” (z.B. LCD-Uhr). Damit lassen sich Genauigkeiten von bis zu ±5 Sekunden pro Monat erreichen! Diese (Un-) Genauigkeit sind für die heutigen technischen Anwendungen natürlich viel zu ungenau! Daher wurde 1967 die internationale Zeitnormale mit der zugehörigen SI-Sekunde eingeführt: “Die Sekunde ist das 9.192.631.770-fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids 133Cs entsprechenden Strahlung.”

Anders ausgedrückt: Beim Übergang vom oberen zum unteren Niveau sendet Cäsium 133 elektromagnetische Wellen mit der Frequenz 9,192631770 GHz aus. Es müssen demnach “nur” noch die 18,38526354exp9 Nulldurchgänge gezählt werden, und schon hat man “seine” SI-Sekunde. Wie man sich denken kann, ist die tatsächliche Realisierung “ein bisschen” anspruchsvoller. Mittels dieses Vergleichsmaßstabs lässt sich also Zeitmessung im Bereich von 1,5exp-14s betreiben. Man sieht hier nicht zuletzt: Die Genauigkeit steht und fällt eben mit dem gewählten Maßstab (vgl. Lägenmessung durch Interferometrie (Vergleichsmaßstab: Wellenlänge des HeNe-Lasers 632,8 nm) und Messen mit dem Zollstock (Vergleichsmaßstab: Urmeter)).

Die PTB (Physikalisch-Technische Bundesanstalt) in Braunschweig zeichnet sich als deutsche Hüterin der Einheiten verantwortlich für die UTC(PTB) in Deutschland. Zur präzisen Atomzeitbestimmung stehen ihr drei Cäsium-Atomuhren (CS1 - CS3) und eine Cäsium-Fontäne (CSF1) zur Verfügung. Nahezu jeder Industriestaat verfügt über eine ähnliche Institution zur Verwaltung der UTC (Österreich: Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (BEV), Schweiz: Bundesamt für Metrologie und Akkreditierung (UTC(CH)). Koordinierend (endlich macht auch dieses C (coordinated) in der Abkürzung einen Sinn) sorgt das BIMP (Bureau International des Poids et Mesures) dafür, dass die UTC überall gleich ist. Somit ergibt sich für die evidente Zeitangabe in Deutschland während der Normalzeit (MEZ): hh:mm:ss UTC(PTB)+1:00 - bzw. in der Sommerzeit (MESZ): hh:mm:ss UTC(PTB)+2:00.

Mit der Einführung der gesetzlichen Zeitdarstellung (und vorheriger Entstehung) wollen wir uns allerdings nicht zufrieden geben: Ist Zeit · Zeit wirklich Mahlzeit (nach Gerhard Polt)? Nicht, wenn der 01.01.1973, …, der 01.10.191, …, oder der 01.01.2006 dazwischen lag. An diesen Tagen gab es nämlich (unter andern) um 1 Sekunde vor 01:00:00 UTC(PTB)+1:00 eine Schaltsekunde! Bisher definierten wir den Tag nach der Formel: 24h·60min·60s=86400. Diese galt allerdings nur bis 1956. Damals wurde festegestellt: Im langzeitlichen Mittel nimmt die Rotationsgeschwindigkeit der Erde nicht zuletzt aufgrund der Gravitationskräfte (evtl. auch durch die Gravitationsverschiebung von Süd nach Nord: vgl. massive Verschiebung der Bundmetalle in die nördliche Hemisphäre) zwischen Erde und Mond ab. D.h., die durch den Cäsiumzerfall definierte SI-Sekunde geht vor! Damit die Ephemeridensekunde der UT1 und die SI-Sekunde um nicht mehr als 0,9s voneinander abweichen, werden also Schaltsekunden in einer nicht festen zeitlichen Abfolge eingefügt (siehe z.B. Ankündigung vom 30.12.2005).

Allerdings nutzt die genaueste Zeit nichts, falls sie den Anwendern nicht zur Verfügung steht. Hierzu sendet der Langwellensender DCF77 auf der Frequenz 77,5 kHz die Zeit UTC(PTB) aus. Damit können so ziemlich alle Funkuhren Europas versorgt werden. Zur Zeitsynchronisation via Internet stehen die beiden “Stratum One Time Server” der PTB zur Verfügung: ptbtime1.ptb.de, ptbtime2.ptb.de.

No Comments! Be The First!

Leave a Reply